Von den Leiden einer Knusperhexe
Von Volker Schaper
Donnerstag, der 6. Juni, 18 Uhr. Langsam füllen sich die Sitzreihen im PZ des Goethe-
Gymnasiums mit Besuchern, die alle gespannt sind auf die neueste Produktion der
Theater-AG von Frau Luczak, die sich im Rahmen des 13. Schüler-Theater-Festivals
Stolberg entschlossen hatte, die „Kleine Hexe" von Otfried Preußler aufzuführen.
Dramatische Szenen spielen sich hinter der Bühne ab: Marie-Theres ist nahe am
Nervenzusammenbruch, letzte verzweifelte Schminkversuche, das totale Chaos.
Denken wir sieben Monate zurück. Ein stürmischer Donnerstag Abend im Dezember 2001.
Die Theater AG trudelt nach und nach zur Probe um 20 Uhr in der Schule ein. Ich glaube, an
jenem schicksalsträchtigen Tag waren wir sogar einmal vollzählig. An jenem Tag stand die
Entscheidung an: Was führen wir als nächstes auf? Nachdem wir den Hauptmann von
Köpenick bereits gelesen und kurzerhand wieder abgesetzt hatten, mußte ein neues Stück her.
Somit saßen wir also an jenem düsteren, stürmischen Abend im Kreis auf der Bühne, vor uns
ausgebreitet Frau Luczaks Literatursammlung. Entscheiden konnten wir uns jedoch nicht. Die
exotischsten Vorschläge wurden gemacht und eine aufgeregte Diskussion entbrannte. Wer
schließlich den Vorschlag machte, weiß ich nicht mehr, doch irgendwer sagte,, Die Kleine
Hexe" und es wurde plötzlich totenstill. Nur der Regen, der draußen auf den Schulhof
prasselte, war noch zu hören. Somit war die Idee geboren.
Bereits in einer der darauffolgenden Proben waren die Rollen verteilt und wir begannen mit
der Stellprobe am 13. Dezember 2001. Und ehe wir uns versahen, befanden wir uns mitten in
der Arbeit zu einem der wohl aufwendigsten Stücke, die man überhaupt spielen kann. Als wir
Anfang März zum ersten Mal mit Kostümen zu proben begannen, hätten wir auch genauso
gut einen Second-Hand Laden für Hippieklamotten aufmachen können. Doch das war erst der
Anfang. Während der kommenden drei Monate wechselten unsere Kostüme ständig und
wurden immer ausgefallener. Niemand weiß wirklich, wie viele Lagen Röcke und Stofffetzen
Marie-Theres als Kleine Hexe trug, und niemand weiß wirklich, wie viele Kissen und
Stopfmaterialien Jörg sich als Bürgermeister unter das Jackett und in die Hosenbeine schob.
Er wurde nur von Probe zu Probe immer fülliger. (Bei der Aufführung schließlich fehlte nur
ein kurzes Bücken, um den Anzug zum Platzen zu bringen.) Doch auch die Hexenkostüme
waren äußerst schillernd. Die Moor- und die Sumpfhexe hatten jeweils einen kunstvoll
beklebten Besenstiel, die Kräuterhexe (auch Tzaziki genannt) war komplett in giftgrün
gewandet, und ich als die Knusperhexe hatte meinen Hut, der mich stundenlange verzweifelte
Arbeit gekostet hatte, bis er endlich auch halbwegs wie ein Hut aussah. Jedenfalls hatten wir
es alle geschafft, irgendwie unsere Kostüme zusammenzustellen.
Und dann kam der Hammer: Wir waren sowohl beim Stolberger als auch beim Aachener
Theaterfestival angemeldet und ins Programm aufgenommen worden. Und das bedeutete:
mindestens drei Aufführungen. Doch damit nicht genug. Irgendwie wurde die Grundschule
Büsbach auf uns aufmerksam und wollte unbedingt eine unserer Vorführungen besuchen.
Damit war also Aufführung Nummer 4 geplant. Und auch Nummer 5 ließ nicht lange auf sich
warten, denn auch die Grundschule Breinig wollte uns besuchen und das Stück sehen. Damit
würde die Kleine Hexe wohl unbestritten zu einem der am häufigsten aufgeführten
Theaterstücke der Theater-AG Werden. Und wir würden am Ende des Schuljahres auf dem
Zahnfleisch kriechen. Hinzu kam noch, daß wir noch kein Bühnenbild hatten, das wir auch
noch brauchten. Eines Tages kam Frau Luczak jedoch mit der rettenden Idee: Ein lebendes
Bühnenbild. Das gefiel uns sofort. Schüler der sechsten Klasse sollten sich als Bäume
verkleiden und als Statisten betätigen. Das hatte zwei Vorteile: Wir mußten uns nicht selbst
um das Bühnenbild kümmern und außerdem mußte ein solches Bühnenbild weder auf- noch
abgebaut werden. Und damit liefen die Proben langsam in die heiße Phase ein. Nach einem
zweistündigen Telefonat hatten Jörg und ich noch schnell die Musik für das Stück
ausgewählt, die ich schließlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion um zwei Uhr morgens noch
geschnitten und auf eine CD zusammengestellt hatte, so daß wir am selben Tag sieben
Stunden später (um neun Uhr morgens, und das an einem Samstag!) erstmals komplett mit
Licht und Musik proben konnten.
Der Sinn dieser Generalprobe war es eigentlich, daß alles fertig sein sollte und das Stück
komplett durchgespielt werden könnte. Bei uns war das noch lange nicht der Fall, denn es
blieb nicht nur bei den üblichen Textpatzern und dem Vertauschen der verschiedenen
Besensorten in der Krämerszene.
Trotzdem gingen wir am Mittwoch, dem 5.6., frohen Mutes in unsere erste Aufführung für
die Grundschule Breinig. Und wir haben sie überlebt. Besonders die Erfahrung, daß die
kleinen Kinder völlig fasziniert waren von unserem Spiel, gab uns dann doch etwas Hoffnung
für die „große" Aufführung am Donnerstagabend.
Diese Hoffnung verfliegt augenblicklich, als wir durch das Guckloch des Musikraumes die
hereinströmenden Besucher beobachten. Letzte Entspannungs- und Lockerungsübungen
hinter der Bühne, das letzte Mal den Text durchgehen, obwohl es sowieso nichts mehr nützt,
das letzte Mal die Augenbrauen nachziehen, bevor im PZ das Licht ausgeht und die Kleine
Hexe und der Rabe für die erste Szene auf die Bühne wirbeln. Am Ende werden wir mit
reichlich Applaus belohnt. Trotz der Pannen während der Aufführung, die, Gott sei dank, nur
uns selbst aufgefallen sind, sind die Zuschauer mehr oder weniger begeistert und wir
zufrieden, daß es so gut geklappt hat.
Schülerzeitung Goethes Faust, 1/2002