Unter unseren Vereinsmitgliedern gibt es ja zahlreiche Geschwisterkinder, die mit ein paar Jahren Abstand
gemeinsam das „Goethe" besucht haben. In der Ausgabe 1/2003 der Schülerzeitung „Goethes Faust" macht
sich eine „Betroffene" ein paar Gedanken über die Vor- und Nachteile dieser Situation. Wenn jemand sich darin
wiederfindet (oder auch gerade nicht), oder das gleiche Thema aus seiner eigenen Erfahrung schildern möchte:
Einfach aufschreiben und an den Vorstand senden! Im nächsten Rundschreiben wird sich sicherlich ein Platz
dafür finden!
Das Leben am Goethe
Oder: Die Sache mit den Geschwisterkindern
Von Sabine Drewes, Stufe 13
Diejenigen, die keine Einzelkinder sind, kennen Auseinandersetzungen mit Geschwistern bestimmt von zu
Hause: Nerverei und Streiterei gehören zum Alltag. Kein Tag, der nicht vergeht, ohne dass die Fetzen fliegen.
Gut und schön, solange sich dies auf die eigenen vier Wände bezieht und man außerhalb seine Ruhe hat. Was
aber, wenn diese Nervensäge (oder vielleicht sogar mehrere!?) auch noch die gleiche Schule besuchen? Dann
heißt es Alarmstufe rot!!!
Als eine von vier „Goethe-Geschwistern" kann ich, wie wahrscheinlich andere an dieser Schule auch, so einige
Anekdoten aus meinem „Ich-habe-Geschwister-an-dieser-Schule"-Leben erzählen, bedenkt man einmal, dass ich
als Dreizehntklässlerin nun schon fast neun Jahre Goethe-Gymnasium auf dem Buckel habe!
Da erinnere ich mich zum Beispiel an meinen ersten Schultag, der sicherlich immer in meiner Erinnerung
bleiben wird: Gespannt und voller Erwartungen betrete ich am ersten Schultag morgens die Küche und ein
mürrischer Bruder brummt mir entgegen: „So gehst du aber nicht in die Schule, so läuft man hier nicht rum, das
schickt sich nicht. Was sollen bloß meine Klassenkameraden von mir denken?"
Leicht verunsichert will ich die Meinung meines anderen Bruders einholen, doch der hat nur ein höhnisches
Grinsen für mich übrig. Schon seit Wochen erzählt er mir Horrormärchen über eine Schule, die seinen
Beschreibungen nach einem Gefängnis gleichen müsste. Der Spaß des Lebens sei jetzt vorbei, die Lehrer seien
grausam und sowieso gäbe es immerzu viele Hausaufgaben auf und ehe man sich versehe, würde man von den
sklaventreibenden Lehrern zum Nachsitzen verdonnert. Das waren die Worte, die mich damals wünschen ließen,
zurück in die Grundschule gehen zu dürfen; zum Glück wurde ich später eines Besseren belehrt – zumindest was
einige Vorstellungen betraf.
Gibt es das bei euch Geschwisterkindern auch? So etwas wie eine Art unausgesprochenes Gesetz, nicht
festgehaltene Regelung? So oder so ähnlich sieht das dann nach dem „Geschwister-Schul-Gesetzbuch" aus:
Paragraph 1: Begegnen wir uns auf dem Schulhof kennen wir uns nicht.
Paragraph 2: Begegnen wir uns doch zufällig im Treppenhaus, wird der Blick gesenkt und unauffällig
aneinander vorbeigegangen.
Paragraph 3: Lässt sich der große Bruder doch einmal herab, seinesgleichen nicht zu leugnen, lässt man sich
bereitwillig vorm Lehrerzimmer ins Gebüsch werfen oder kopfüber in den Mülleimer stecken.
Paragraph 4: Baut jemand Mist oder stellt etwas an, ist das seine Sache und wird am Mittagstisch außen vor
gelassen (inbegriffen das Rauchen).
Paragraph 5: Wird der Bruder / die Schwester in Begleitung einer / eines Andersgeschlechtigen gesehen, ist auch
dieses Thema tabu.
Paragraph 6: Wird eine dieser Regeln missachtet, wird dies nach der Schule ausgetragen und entsprechende
Auswirkungen müssen kommentarlos hingenommen werden.
Natürlich gibt es auch praktische Seiten an dem Besuch der gleichen Schule, die nicht außer Acht gelassen
werden dürfen:
- So muss man zum Beispiel nicht hungern, wenn man sein Brot zu Hause hat liegen lassen, weil der, der
nach einem das Haus verlässt, schon daran denken wird.
- Muss etwas Schweres zur Schule transportiert werden, macht das der starke Bruder.
- Braucht man Geld, hat man eine sichere Quelle zum Anpumpen.
- Ärgert man sich über einen Lehrer, kann man sich sicher sein, Unterstützung von den anderen zu
bekommen!
- Und das Wichtigste: Es gibt manche bequeme Lehrer, die auch nach 10 Jahren die gleichen Arbeiten
stellen. Herzlichen Dank dafür!!!
Am unangenehmsten ist eigentlich die Situation, wenn man einen neuen Lehrer bekommt und dieser zum ersten
Mal das Klassenbuch aufschlägt, um die Namensliste durchzugehen. Dies ist dann immer der alles entscheidende
Augenblick, an dem sich herausstellt, wie das kommende Schuljahr für einen persönlich verlaufen wird. Durch
eine Kombination aus dem Augenbrauenverziehen unterstrichen von einem Stirnrunzeln und der Aussprache der
Worte „Bist du nicht die Schwester von x?" oder „Habe ich nicht einmal deinen Bruder y im Unterricht gehabt?"
fällt der Lehrer das Urteil. Erinnert er sich daran, dass dein Bruder z.B. einmal seine Lesebrille versteckt hat und
sich diese erst eine Woche später urplötzlich auf dem Pult wiederfand, hast du Pech gehabt. Hat dein anderer
Bruder aber mal eine hervorragende Facharbeit bei besagtem Lehrer geschrieben und war generell ein guter
Schüler, bist du auf der sicheren Seite. Das ist wie beim Roulette: Es gibt schwarz und rot, entweder hast du
gewonnen oder verloren. Bei Ersterem hast du noch einmal Glück gehabt und kannst dich entspannt
zurücklehnen. Bei Letzterem hast du ein Jahr Zeit, gegen gewisse Vorurteile anzukämpfen!
Natürlich ist das nicht immer so und liegt zum Teil auch an den jeweiligen Lehrern. Nichtsdestotrotz wird mir
allmählich klar, warum ich neuen Lehrern gegenüber so aufgeschlossen bin. Mögen einige Aspekte auch etwas
überspitzt dargestellt sein, so gibt es zum Schluss doch noch ein paar Tipps für die Lehrer, um eine angenehme
Atmosphäre mit einem Geschwisterkind aufzubauen:
- Vorurteile sind tabu, lieber zuerst eine eigene Meinung bilden!
- Wenn ein Geschwisterkind in einem bestimmten Fach schlecht ist, muss dies nicht auch für ein anderes
gelten (auch wenn das bei uns in Mathe auf alle vier Geschwister passt, aber das kann auch am Fach
liegen!?)
- Vor der ganzen Klasse petzen („Dein Bruder ist die Nervensäge in der Klasse schlechthin") ist ärmlich.
- Vermeiden Sie bitte Aussagen wie „Du siehst deiner Schwester aber sehr ähnlich" oder „Dein Bruder
hat auch immer die gleichen Fehler gemacht."
So, dies war es zum Thema „aus dem Leben eines Geschwisterkindes am Goethe", was stellvertretend für all die
anderen Geschwisterkinder steht. Lasst einfach die negativen Aspekte außen vor und kramt am nächsten
Wochenende mal die alten Kisten der Schulsachen eurer Geschwister durch. Ihr findet sicherlich was
Brauchbares! Und an die Einzelkinder: Wozu gibt es Kopierer?
Goethes Faust 1/2003