Am bröckelnden Putz sieht man den Wert der Schule
Stolberg.Das Urteil klingt vernichtend: Unter 32 Industrienationen rangiert
die Leistungsfähigkeit deutscher Schüler zwischen Platz 21 und 25. Dies hat
die so genannte Pisa-Studie ergeben, die vor einigen Tagen veröffentlicht
wurde.
Fordern viele Politiker schnelle Maßnahmen, so sind sich die Stolberger
Lehrer zwar der Probleme bewusst, warnen jedoch vor Schnellschüssen. Für sie
kann die Lösung des Bildungsmisstandes nicht alleine in der Schule liegen.
SZ-Redakteur Patrick Nowicki hakte nach.
Das Gezeter, die Bestürzung ist groß. Und ein Schuldiger scheint gefunden:
Deutschlands Schulen taugen nichts! Genau gegen diesen Vorwurf wehren sich
die Stolberger Lehrer: «Man muss sich nur den Zustand der Schulgebäude
anschauen, um zu erkennen, was die Bildung wert ist», bemerkt Stefanie
Luczak ironisch.
Die Leiterin des Goethe-Gymnasiums fordert eine fundierte Analyse der
Situation, bevor Lösungen ergriffen werden. «Es nützt nichts, die Symptome
zu bekämpfen, jetzt muss nach den Ursachen geforscht werden.»
In die gleiche Kerbe schlägt auch der Leiter der Hauptschule Probst-Grüber,
Walter Clahsen: «Die Anforderungen an die Schule sind enorm gewachsen!» Man
müsse als Lehrer Aufgaben von Sozialpädagogen und Psychologen übernehmen.
«Dafür sind wir aber nicht ausgebildet», sagt er und fordert deshalb die
Einstellung von Fachleuten, die sich der vielfältigen Probleme der Schüler
annehmen. Denn die gesamte Erziehung könne die Schule nicht leisten.
Es sei ein gesellschaftliches Problem, das sich im Ergebnis der
Pisa-Forscher widerspiegele. Die Welt sei komplizierter geworden, die
Ablenkung durch ein immer breiteres Freizeitangebot zudem gewachsen,
argumentiert Luczak.
Stefanie Luczak warnt jedoch davor, alle Schüler über einen Kamm zu scheren:
«Es gibt noch viele begabte Jugendliche, die viel Zeit mit Lernen
verbringen.» Eine einfache Lösung gebe es nicht, da die Probleme zu
vielfältig seien. Dennoch: «Ich gebe zu bedenken, dass es in vielen Ländern,
die in der Studie besser abschneiden als Deutschland, Ganztagsschulen gibt.»
Dies sei auch für die Leiterin der Grundschule Atsch, Ute Kloubert, ein Weg,
Kinder behüteter heranwachsen zu lassen. «Die Zukunft liegt wohl in der
Ganztagsschule», betont sie. Damit werde man den Entwicklungen der
Gesellschaft gerecht: die wachsende Zahl an allein Erziehenden und
Berufstätigen.
Auch im Bereich von Grundschulen dürfe man die Probleme nicht an den Lehrern
festmachen. Im Gegenteil: Sie begrüßt die Bestrebungen, mit dem
Fremdsprachen-Unterricht früher zu beginnen. «Die Welt wächst immer mehr
zusammen, darum gewinnen Fremdsprachen an Bedeutung.»
Wie ein Problem angepackt werden kann, zeigt sich an der Hauptschule
Probst-Grüber: Dort werden für ausländische Kinder Förderstunden angeboten,
in denen die deutsche Sprache erlernt wird. 50 Lehrerstunden wurden dort
eingerichtet - in Abstimmung mit der Schulaufsicht. Ein Beispiel, wie das
Niveau durch gezielte Maßnahmen gehoben werden kann.
Und das Engagement von Lehrern und Eltern ist auch ausgeprägter als sein
Ruf: In der Grundschule Atsch greifen die Erwachsenen zu Pinsel und Farbe
und gestalten die Klassenräume selbst - wie auch in anderen Schulen.
Zahlreiche Fortbildungen stehen zudem auf dem Stundenplan zahlreicher
Lehrer.
Dennoch ist der Ruf nach Veränderungen, nach Verbesserungen nicht zu
überhören. «Es verwundert doch, dass erst nach dieser Studie reagiert wird,
obwohl die Lehrer schon seit Jahren auf Probleme aufmerksam machen», merkt
Ute Kloubert an. Dabei sage man ständig, wenn man in Kinder und Jugendliche
investiere, investiere man in die Zukunft. Die Lehrer der Kupferstadt hoffen
nun, dass den Lippenbekenntnissen auch Taten folgen.
Aachener Zeitung Online, 7.12.2001