Elektrotechnik - aha!?!
Immer wenn mich Leute fragten, was ich denn eigentlich mache, dann ist mir häufig folgendes
passiert. Es war eigentlich egal, ob sie in meinem Alter, in der Generation meiner Eltern oder sogar
meiner Großeltern waren, denn auf meine Antwort, dass ich Elektrotechnik studiere, kam immer eine
ähnliche Reaktion: Ein nichtssagender Gesichtsausdruck und ein erstauntes "Aha". Die meisten
konnten sich nicht vorstellen, was ein Elektrotechnikstudium überhaupt ausmacht und was ein
Diplom-Ingenieur überhaupt macht. So ging es mir vor ein paar Jahren auch noch, und ich kann mir
vorstellen, dass es vielen von euch genauso geht. Deshalb möchte ich an dieser Stelle mein Studium
bzw. meinen Beruf ein wenig vorstellen.
Im Frühjahr 1996 habe ich mein Abitur am Goethe-Gymnasium gemacht, und erst kurz vorher war bei
mir die Entscheidung gefallen, Elektrotechnik zu studieren. Damals dachte ich, dass ich eine
Vorstellung davon hätte, was es denn in der Elektrotechnik alles zu entwickeln und zu forschen gibt.
Heute weiss ich, dass ich keine Ahnung hatte.
Im täglichen Leben ist man von "Elektrotechnik" umgeben, und man nimmt sie wahrscheinlich gar
nicht mehr richtig wahr. Sie scheint selbstverständlich zu sein. Man kennt den Fernseher, das Handy,
den Computer, und wenn man auf den Lichtschalter drückt, wird es hell im Zimmer. Aber auf den
zweiten Blick wird einem vielleicht bewusst, dass das nicht alles sein kann. Wie kommt der Strom in
die Steckdose? Wieso werden die Handies immer kleiner und bieten mittlerweile außer Telefonie auch
Spiele, Internet, E-Mail und bald auch Videoübertragung? Wieso sind die Computer in einem Jahr
doppelt so leistungsfähig wie heute? Selbst wenn man darüber mal nachdenkt, dann hat man erst einen
Bruchteil davon erkannt, was ein Elektrotechniker überhaupt macht. Ein Großteil der Technik tritt gar
nicht zu Tage, und kaum einer hat mit ihr zu tun. Die ganzen Geräte in den Arztpraxen, moderne
Fahrzeugmotoren und leider auch modernste Waffentechnik strotzen nur vor feinstem High-Tech.
Aber nicht nur die eigentliche Elektrotechnik ist ein Arbeitsbereich heutiger Ingenieure.
Unternehmensberatung, Marketing und Vertrieb oder auch Ausbildung in verschiedensten Bereichen
der Technik sind Gebiete, in denen man als Ingenieur arbeiten kann.
Wie aber soll ein Studium auf so eine Masse von verschiedensten Möglichkeiten vorbereiten und
ausbilden? Indem es ein breites Grundlagenwissen, aber vor allem die Fähigkeit vermittelt, sich
selbständig in Neues einzuarbeiten.
Wegen dieser Ziele ist ein Studium in Aachen zu empfehlen. Denn die RWTH ist weltweit dafür
bekannt, dass gute Ingenieure hier ihren Abschluss mit eben diesen Fähigkeiten und diesem
hervorragenden Wissen machen.
Ich möchte euch nun kurz beschreiben, wie das Studium eigentlich aufgebaut ist. Es beginnt in den
meisten Fällen damit, dass man vor dem Studium erst einmal ein Praktikum macht. Es wird
"mechanische Grundpraxis" genannt. Man muss für acht Wochen in eine Firma gehen, um dort
grundlegende Dinge der Metallverarbeitung und der Montage zu lernen, aber vor allem auch um
kennenzulernen, wie die Leute arbeiten, deren Vorgesetzter man einmal sein wird. Bis zu den letzten
Vordiplomsprüfungen, die die meisten Studenten nach zwei Jahren ablegen, müssen noch weitere 5
Wochen Praktikum gemacht werden. In dieser "elektrotechnischen Grundpraxis" geht es dann darum,
ein erstes praktisches Verständnis von Bauelementen (Widerstände, Kondensatoren, Transistoren ... ) ,
Baugruppen (z.B. Hausinstallationen) und elektrischen Geräten zu bekommen. Ich kann nur sagen:
"Das war schon wesentlich interessanter als das mechanische Praktikum." Soviel erst einmal zu den
Industriepraktika.
Das Studium ist in zwei Teile aufgeteilt: in das Grundstudium und das Hauptstudium, das mit der
Diplomarbeit abgeschlossen wird. Das Grundstudium ist wiederum in zwei Teile aufgespalten. Es
vermittelt grundlegendstes Wissen in Mathematik, Physik, Elektrotechnik, Maschinenbau und
Informatik. Ihr seht, schon hier lernt man tausend verschiedene Sachen. Aber lasst euch bloß nicht
davon abschrecken! Es sieht nach unheimlich viel Lernen und Stress aus. Und wenn ich ehrlich bin,
dann ist das auch ein bisschen so, aber man schafft es! Und in anderen naturwissenschaftlichen oder
technischen Studiengängen würde es euch nicht besser gehen. Das Wichtigste ist wirklich, dass man
Spaß an seiner Sache hat, dann kommt der Rest von alleine.
Es sieht so aus, als ob ich euch das Elektrotechnikstudium mies machen wollte, aber im Gegenteil! Ich
möchte euch die Wahrheit erzählen, aber gleichzeitig klar machen, dass sie halb so schlimm ist, wie
sie erscheint. Man kommt mit der Zeit über die ersten Schwierigkeiten hinweg, und da sind wir wieder
bei dem oben beschriebenen Ziel des Studiums: Der Fähigkeit selbständig Neues zu erarbeiten. Das ist
es, was man gerade in den ersten Semestern lernen muss. Wenn man es schafft, sich ab und zu einmal
hinzusetzen, und sich mit dem Stoff befasst, dann merkt man, dass alles gar nicht so schwierig ist, wie
es aussieht. Man muss sich einfach hin und wieder dazu zwingen, auch ein bisschen zu arbeiten, wenn
man keine Lust hat. Das sieht jetzt so aus, als ob man sich brav jeden Tag an den Schreibtisch setzen
und lernen muss. Auch das ist falsch! Man muss seinen persönlichen Lernstil entwickeln. Und gerade
im Studium der Elektrotechnik muss man sich von alleine dazu zwingen, denn das Studium ist sehr
frei, d.h. es gibt (fast nur) Vorlesungen und (Rechen-)Übungen und sonst nichts. Keine Prüfungen
oder Klausuren in der Vorlesungszeit, keine Hausaufgaben, und selbst zu den Übungen und
Vorlesungen müsst ihr nicht hingehen. Niemand wird euch Probleme machen. Nur in den Klausuren
müsst ihr dann eure Leistung bringen. Wie ihr den Stoff gelernt habt, ist eure Sache. Pflicht sind
lediglich die Hochschulpraktika. Man kann sich das wie eine Versuchsstunde im Physikunterricht
vorstellen. Einmal in der Woche muss man sich mit Hilfe eines Skriptes auf einen Versuch vorbereiten
und ihn dann durchführen. Aber keine Angst! Ich habe es noch nie erlebt, dass einer rausgeflogen ist,
weil er nichts wusste, obwohl es von diesen Studenten auch ein paar gab.
Nachdem ihr dann also alle Grundlagen gelernt und euer Vordiplom in der Tasche habt, geht es
darum, eine Studienrichtung für das Hauptstudium zu wählen. In Aachen gibt es zwei: "Informations-
& Kommunikationstechnik" oder "Elektrotechnik und Elektronik". "Studienrichtung" bedeutet, dass
ihr euch ein wenig spezialisieren müsst. Im Grundstudium hören alle Studenten die gleichen Fächer
und müssen auch die gleichen Prüfungen machen. Im Hauptstudium habt ihr zwar auch noch ein paar
"gemeinsame" Fächer, aber ihr könnt auch aus verschiedenen anderen Fächern wählen, die zu eurer
speziellen Studienrichtung passen.
"Informations- & Kommunikationstechnik" ist sehr in Richtung Multimedia, Informatik und
Telekommunikationstechnik ausgerichtet. "Elektrotechnik & Elektronik" beschäftigt sich eher mit
dem, was man so allgemein unter Elektrotechnik versteht, d.h. Energietechnik (Stromerzeugung, -
verteilung, Motoren, etc. ) und Nachrichtentechnik (Schaltungen und Mikrochips entwickeln).
In den Fächern des Hauptstudiums wird das Wissen, das man im Grundstudium erlangt hat, zum Teil
erheblich vertieft. Es geht zum einen sehr in die Physik (Werkstoffe und Theoretische Elektrotechnik),
zum anderen lernt man viel über Methoden der Informatik (Programmierung, Betriebssysteme,
Kommunikationsnetze), und vieles beschäftigt sich mit allgemeinem Elektrotechnischem (Akustik,
Bauelemente, elektrische Maschinen und Anlagen). Ich würde behaupten, dass das Hauptstudium das
Studium erst richtig interessant macht. Hier erhält man Einblicke in Dinge, die man vorher gar nicht
erahnt hat. Erst nach dem Hauptstudium weiß man, was alles in einem Handy oder in einem CD-
Spieler steckt.
Auch im Hauptstudium muss man noch einmal 13 Wochen Fachpraktikum in der Industrie machen.
Hier soll einem die Arbeit eines Ingenieurs nahegebracht werden, und hier kann man sein Wissen auch
sinnvoll anbringen. Man erkennt, dass "Mathe und Physik pauken bis zum Abwinken" doch nötig ist,
und wo überall Computer für die verschiedensten Dinge eingesetzt werden. Und viele machen auch
ganz neue Erfahrungen, weil sie ins Ausland gehen, um dort nicht nur fachlich etwas zu lernen,
sondern auch persönlich etwas mitzunehmen.
Nachdem man dann ein Semester an seiner Diplomarbeit gesessen hat, erhält man seinen Abschluss,
und los geht es mit dem Berufsleben. Und die Aussichten sind gerade im Moment gut. Da die IT-
Branche boomt, sind Ingenieure gefragt wie nie. In Deutschland, Europa und in der ganzen Welt sind
Jobangebote für einen guten Hochschulabsolventen der Elektrotechnik zu finden, die sich sehen lassen
können. Aber vorsichtig mit dieser Euphorie! Nur weil jemand weiß wie ein Handy funktioniert und
der Klassenbeste im Computerspielen ist, sollte er nicht ein Elektrotechnik-(oder ein Informatik-)
Studium beginnen. Wenn das seine einzigen Fähigkeiten sind, wird er scheitern! Aber was braucht
man für ein Elektrotechnikstudium? Nach meiner Erfahrung folgendes:
- Interesse an und ein gutes Verständnis für Mathematik und Physik
- Selbstdisziplin, um sich auch einmal an den Schreibtisch zu setzen, wenn man keine Lust hat
- Ein bisschen (oder je nachdem auch mehr) Interesse an Informatik und Programmierung
- Spaß, etwas zu Lernen, das zwar hochkompliziert aber auch hochinteressant sein kann
Allerdings wird von einem Ingenieur nicht nur erwartet, dass er sein Fach beherrscht, sondern
zusätzlich auch andere Qualifikationen hat:
- Englisch in Wort und Schrift ist Pflicht, weitere Fremdsprachen oft gerne gesehen
- Betriebswirtschaftliche Kenntnisse
- Auslandserfahrung; hierfür ist ein Auslandspraktikum oder ein Semester im Ausland eine gute
Möglichkeit
- sogenannte "Softskills": D.h. man muss mit anderen zusammenarbeiten können und sich auch
sachlich mit ihnen über ein fachliches Thema unterhalten können. Seine Ergebnisse sollte man
präsentieren können und am besten nicht nur auf deutsch.
Leider ist die Vermittlung dieser Qualifikationen und Kenntnisse kaum im Studienplan vorgesehen.
Da ist wiederum Eigeninitiative gefragt. Aber an der Universität gibt es genügend Angebote: Einen
der vielen kostenlosen Sprachkurse oder Kurse über Rhetorik, Präsentation etc. Und wenn man
zusätzlich kein komplettes BWL-Studium macht (dafür bleibt eigentlich auch nicht die Zeit), so sollte
man vielleicht die eine oder andere Vorlesung und Prüfung in BWL freiwillig mitmachen. Es kann
keinesfalls schaden. Ich habe mit diesen Dingen erst in meinem Hauptstudium angefangen und würde
fast behaupten, dass es da eigentlich schon zu spät war.
Wem also die Mathematik zu trocken für ein Mathematik-Studium ist, ein Physik-Studium zu tief und
anwendungsfern erscheint, wer nach dem Informatik-Studium nicht nur programmieren möchte und
als Maschinenbauer nicht mit Plastik und Metall arbeiten möchte, der sollte sich an ein
Elektrotechnikstudium wagen. Es bietet von allem ein bisschen. Ich stand damals auch vor der
Entscheidung: Elektrotechnik oder Informatik? Ich habe Elektrotechnik genau aus diesem Grunde
gewählt und würde es immer wieder tun.
Wer für seine Entscheidungsfindung gerne noch mehr Informationen hätte, der kann mir gerne mailen
(MichaelHaehnel@gmx.de). Ich werde versuchen, alle Fragen zu beantworten.
Michael Hähnel (Abi 1996)