Verein der Ehemaligen und
Freunde des Goethe-Gymnasiums


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Quelle: Goethes Faust

"Physik - wie kann man nur!"

Als ich von der Redaktion von Goethes Faust bei einem Besuch einer Redaktionssitzung erfahren habe, dass sie Studiengänge an den Aachener Hochschulen in ihren Ausgaben vorstellen wollen und dazu einige Erfahrungsberichte - sozusagen aus dem Leben - brauchen könnten, habe ich natürlich gerne zusagt, etwas zu schreiben. Das Ergebnis liegt nun vor Euch.

Mein Abi ist nun schon vier Jahre her, nach einem Jahr Zivildienst habe ich an der RWTH Aachen mit dem Physikstudium angefangen und bin jetzt im sechsten Semester. Fangen wir vielleicht vorne an: Die wirkliche Entscheidung ist erst während des Zivildienstes gefallen; vorher war nur klar, dass es etwas mit Mathematik, Physik oder auch Informatik werden sollte. Gespräche und Informationen an verschiedenen Stellen haben dann zu einem Entschluss geführt, den die meisten, die einen nicht kennen, entweder kopfschüttelnd mit "Physik - wie kann man nur!" oder bewundernd mit "Physik - das ist aber schwer!" kommentieren. Das zeigt aber, dass eigentlich kaum jemand weiß, was hinter dem Physikstudium steckt - nun ja, woher auch?

Es ist natürlich klar, dass man ein gewisses Maß an physikalischem und besonders mathematischem Interesse mitbringen sollte. Letzteres deswegen, weil das erste Jahr des Studiums etwa zur Hälfte aus Mathematik besteht, da diese Grundlage in höheren Semestern unverzichtbares Handwerkszeug ist. Deswegen sind die mathematischen Probleme am Anfang sicherlich gravierender als die physikali- schen. So dürfte es mit einem Physik-GK kaum Probleme geben, mit einem Mathe-GK schon wesentlich eher. Konkret: Im ersten Semester besteht das Studium an der RWTH aus 12 Wochenstunden Mathematik, 6 Stunden Experimental-Physik und 6 Stunden Nebenfach, was wahlweise Chemie oder Informatik sind. Aber trotz Mathe-LK (bei Herrn Rüther) und Physik-LK (bei Herrn Kramer, der den meisten von Euch auch noch ein Begriff sein sollte) und nicht allzu niedrigen Punktzahlen in diesen Kursen ist das erste Semester für mich besonders in mathematischer Hinsicht nicht das einfachste gewesen. Also: Keine Panik, aber ohne Mathe (viel Mathe!) geht es leider nicht, und wer das absolut nicht mag, der wird verzweifeln und es deswegen besser sein lassen.

An dieser Stelle vielleicht ein paar Worte dazu, was man beim Physik-Studieren wirklich "tut" und wie der Alltag aussieht. Zunächst ist natürlich niemand da, dem man Entschuldigungen vorlegen oder erklären muss, warum man zehn Minuten zu spät kommt. Hat man gelernt, mit dieser Freiheit richtig umzugehen, dann hat sie auf jeden Fall etwas Positives: Man kann in einigen Fällen auf bestimmte Veranstaltungen wirklich verzichten. Macht man es aber zur Regel, dann kommt fast immer am Semesterende die Quittung, wenn kein Schein (übersetzt: Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme an irgendwas) herausspringt, von denen man aber einige für die Zulassung zur Vordiplomprüfung benötigt. Neben den Vorlesungen höchst unterschiedlicher Qualität gibt es die Übungen mit Hausaufgaben. In jeder Woche sind diese Hausaufgaben abzugeben und werden bewertet und anschließend in den Übungen besprochen. Diese finden in Gruppen von 10 bis 20 Leuten statt und werden von Hiwis, Studenten aus höheren Semestern, betreut. Hier ist meistens die Stelle, an dem man wirklich etwas lernt abgesehen von eigener Arbeit zu Hause, denn die Hiwis kennen noch aus eigener Erfahrung die Probleme und können meistens besser weiterhelfen Professoren, die oft keine Beziehung mehr zu den Schwierigkeiten von Erstsemestern haben. Am Semesterende steht meistens zusätzlich eine Klausur, die über die entscheidende Frage "Schein oder nicht Schein" (s.o.) entscheidet.

Neben diesen Übungen gibt es in den Semesterferien die Praktika - eins nach dem ersten Semester, wenn man das Nebenfach Chemie hat - und zwei nach dem zweiten und dritten Semester in Physik. Dort führt man selbst in Zweiergruppen insgesamt 20 Versuche aus, wertet die Messungen in Protokollen aus, die anschließend ebenfalls bewertet werden.

Die Praktika sind die Gelegenheit, um zu dem Wort "Experimental-Physik", das weiter oben schon ge- fallen ist, noch etwas zu sagen. An Hochschulen wird relativ strikt zwischen Experimentalphysik und Theoretischer Physik getrennt. Auseinandersetzen muss man sich mit beiden Bereichen, bevor man sich später für eine Richtung entscheidet. Die Experimentalphysik beschäftigt sich - wie der Name schon sagt - mehr mit den Messmethoden und ist insgesamt etwas handfester und in gewissem Sinne einfacher. Die Theoretische Physik kümmert sich mit exzessiver Verwendung von Mathematik um die Formulierung neuer Theorien und um experimentelle Vorhersagen auf deren Basis. Wer sich also fast nur mit Mathe beschäftigen möchte, ohne Mathe zu studieren, für den ist die Theoretische Physik ge- nau das Richtige.

Als letzen Punkt dazu, wie der Alltag im Physik-Studium aussieht, will ich noch etwas zum Zeitauf- wand sagen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Zeit, die man während der Oberstufe in Sachen Schule mehr oder weniger intensiv aufgewendet hat, in keinem Fall ausreicht, wenn man in akzeptabler Semesterzahl, sagen wir zwischen 10 und 14, sein Diplom haben möchte. Das gilt natürlich nicht nur für Physik, sondern eigentlich für fast alle Studiengänge. Mit einer 30- bis 35-Stunden- Woche kommt man normalerweise erträglich über die Runden, aber das kann sich vor Klausuren oder Prüfungen auch mal auf 50 oder 60 Stunden steigern, was besonders im Sommer bei herrlichem Wetter nicht leicht fällt! Ich möchte niemanden abschrecken, sondern bloß davor warnen, dass man mit falschen Vorstellungen anfängt und dann deswegen aufgibt.

Mehr über den Inhalt der ersten Semester zu schreiben, ist wohl nicht sinnvoll, denn ich sollte auch etwas dazu sagen, wohin der so ausführlich beschriebene Weg führt. Innerhalb der Physik kann man sich grundsätzlich zwischen den beiden Grundrichtungen "Theorie" oder "Experiment" entscheiden und muss zusätzlich eine physikalische Vertiefungsrichtung, Festkörperphysik oder Elementarteilchenphysik, sowie eine nicht-physikalische wählen. Die Festkörperphysik oder "Physik der kondensierten Materie" und die Elementarteilchenphysik sind die beiden in Aachen experimentell und theoretisch vertretenen Hauptrichtungen. Die Festkörperphysik ist sehr breit gefächert und umfasst verschiedenste Gebiete (s.u.). In der Elementarteilchenphysik wird mit einem unvorstellbaren Aufwand an Großforschungseinrichtungen in Hamburg, Genf oder Übersee an Fragen gearbeitet, die klären sollen, woraus die Welt im subatomaren Bereich besteht und wie sie entstanden ist.

Für die Wahl seiner Vertiefungsrichtungen ist man an der RWTH eigentlich sehr gut versorgt, da nicht nur die Physikalischen Institute sondern auch die Ingenieurwissenschaften reichlich Möglichkeiten bieten, z.B.:

  • Entwicklung von Lasern und Laser-Anwendungen im Frauenhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen
  • Forschung an den Grundlagen neuer Speicher- und Chiptechnologien an den physikalischen oder elektrotechnischen Instituten (Festkörperphysik)
  • Strömungsberechnungen für Flugzeugtragflächen am Institut für Luft- und Raumfahrt mit entsprechender Computersimulation
  • Arbeit an neuen Entwicklungen in der Medizintechnik z.B. am Helmholtz-Institut für Biomedizinische Technik in Aachen
  • Arbeit an der Entwicklung von High-Tech-Materialien im Bereich der Werkstoffkunde und Metallurgie (Festkörperphysik)
  • Klassische physikalische Grundlagenforschung im Bereich der Elementarteilchenphysik am CERN (Centre Europeènne pour la Recherche Nucleaire) in Genf oder am DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) in Hamburg, wo jeweils mehrere hundert Wissenschaftler aus aller Welt in internationalen Forschungskooperationen zusammenarbeiten

Ohne dass die Auflistung vollständig wäre, gibt sie wieder, wie weit gestreut die Möglichkeiten liegen, die einem die Physik schon während des Studiums bietet.
Damit ist man auch schon beim Thema der beruflichen Möglichkeiten. Schon im Verlauf der ersten Semester merkt man, dass neben der fachlichen Ausbildung ganz automatisch auch eine "methodische Ausbildung" stattfindet. Was habe ich nun hinter diesem Wort verschanzt: Im Physikstudium lernt man wie in wahrscheinlich kaum einem anderen, höchst komplexe Probleme zu erfassen, zu vereinfachen und zu lösen. Man wird zwar deswegen kein Allround-Genie, aber diese Fähigkeit zum System-Denken ist nicht nur innerhalb der Physik oder angrenzender Gebiete, sondern in vielen Bereichen wichtig. Deswegen arbeitet erstaunlicherweise weit weniger als die Hälfte aller ehemaligen Physikstudenten als Physiker - entgegen des oft zu hörenden Vorurteils "Was willst du denn als Physiker werden? Arbeitslos?". In Branchen wie der Softwareindustrie, in Unternehmens- und Wirtschaftsberatungen, in Banken und Versicherungen oder bei Logistikdienstleistungsunternehmen ist diese Denkfähigkeit so gefragt, dass Physiker neben den zu erwartenden Leuten wie Informatikern oder Wirtschaftswissenschaftlern dort sehr gute Chancen haben, wenn sie die Bereitschaft zu Neuem und zum Querdenken mitbringen. Schafft man es also, sein Physikstudium in vertretbarer Dauer hinter sich zu bringen und daneben noch etwas über den Tellerrand zu blicken, dann gibt es nur wenige Branchen, die Physikern vollkommen verschlossen sind, und was das Bare im Portmonee angeht, kann man sich dann auch ohne Probleme mit den Absolventen anderer Studiengänge messen.

Zum Schluss noch einige Worte zum erwähnten Tellerrand, die auch wieder nicht nur für Physik gelten: Zum Über-den-Tellerrand-Blicken gehören zum Beispiel, neben dem obligatorischen Englisch eine zweite Fremdsprache halbwegs zu beherrschen, ausserdem vor, während oder nach dem Studium eine gewisse Zeit im Ausland zu verbringen, und die Fähigkeit, sich mit anderen Dingen als Physik oder Mathematik zu beschäftigen. Besonders der letzte Punkt kommt einigen Klischee-Physikern, die es leider auch gibt, manchmal etwas abhanden.

Insgesamt kann ich sagen, dass die schwierige Entscheidung damals die richtige war und ich sie wieder so treffen würde. Ich wünsche Euch - Physik hin oder her - dass ihr diese Entscheidung auch alle so gut trefft. Sollte sich jemand noch genauer für das interessieren, worüber ich geschrieben habe, dann kann er mich per Email über markus.laufenberg@post.rwth-aachen.de erreichen.

Markus Laufenberg (Abi 1996)



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Was man in der Schule nie erfährt!: Die Wahrheit über Mathe (01.06.2001)

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